Text & Fotos: Enrico Stirl |
Für ein verlängertes Wochenende über den großen Teich fliegen? Gilt so etwas schon als spätrömische Dekadenz? Vielleicht. Der Ausgangspunkt ist allerdings viel banaler. Bei Lufthansa gab es Sonderangebote für Nordamerika und da konnte ich nicht Nein sagen. Aufgrund der kurzen Reisedauer von fünf Tagen kam dann auch nur ein Ziel an der Ostküste in Frage. Die Entscheidung fiel dabei letztlich auf Toronto in Kanada. Statt Canyons diesmal Häuserschluchten.Weder Piloten- noch Fluglotsenstreik oder gar Vulkanasche kann uns aufhalten. Abflug in Dresden ist um 07.20 Uhr, mit einer Boeing 737 der Lufthansa. Gut zwei Stunden nach der Ankunft in Frankfurt/M hebt eine Boeing 777 der Air Canada mit uns an Bord ab. Das Unterhaltungsprogramm an Bord umfasst rund 80 Stunden Filmmaterial – allerdings nur einen Bruchteil davon in deutsch. | |
Zunächst
wähne ich uns im falschen Flieger. Jede Menge Inder und Pakistani
sind an Bord. Ich seh uns schon in Karachi landen, doch die wollen
auch alle nach Toronto. Die Einreise nach Kanada gestaltet sich
zunächst wesentlich entspannter als in die USA. Man muss sich nicht
im Vorfeld online registrieren und es will auch keiner von uns
wissen, ob wir Drogenmissbrauch betreibende Terroristen sind, welche
sich an kriminellen Aktivitäten beteiligen wollen. Kurz nach 13.00
Uhr Ortszeit landen wir auf dem Pearson Airport in Toronto. Kein
Fotoshooting, kein scannen der Finger – doch dann kommt das böse
Erwachen: Da Annett keine Freistellung bekommen hatte, musste ich mit
den Kindern alleine reisen. In diesem Fall ist es notwendig, dass man
eine schriftliche Genehmigung des anderen Elternteils dabei hat. Über
die Seite des auswärtigen Amtes hatte ich ein entsprechendes
Formular gefunden und dazu mir internationale Geburtsurkunden der
Kinder besorgt. Doch die Urkunden interessieren die Beamtin nicht. |
Stattdessen
moniert Sie, dass das Formular nicht ausreichen würde, es hätte von
einem Notar beglaubigt sein müssen, schließlich könne ja jeder so
etwas schreiben und sie könne sich nicht vorstellen, dass ich mit
den Kindern nur für ein paar Tage Urlaub in Kanada machen wolle. Da
klappt einem erstmal der Unterkiefer runter. Ich zeige ihr den
Ausdruck unserer Flugbuchung, auf welcher Annetts Ticket mit
ausgewiesen ist (da sie ja eigentlich mitfliegen sollte), den
Hotel-Voucher und versuche zu erklären, warum die Kindesmutter nicht
dabei ist. Ich muss den ganzen Kram liegen lassen, wir werden in eine
Ecke gesetzt und müssen gefühlte drei Stunden warten. Nach ca. 15
tatsächlichen Minuten werden wir wieder aufgerufen und haben einen
Vermerk in den Pässen, dass wir uns für exakt die fünf Tage in
Kanada aufhalten dürfen. Und damit heißt es endlich auch für uns
"Welcome to Canada".
Da
es nicht möglich war, von Deutschland aus einen Mietwagen bei Dollar
Rental Cars in Toronto zu mieten, greifen wir wieder bei Alamo zu.
Leider gibt es hier keine Choice Line und man muss nehmen, was einem
zugewiesen wird. Aber als US-Car-Fan mit einem Japaner durch
Nordamerika zu fahren wäre glatter Stilbruch. Deshalb frage ich am
Schalter, ob wir einen amerikanischen Wagen bekommen können. Sure,
you can get a Chrysler 300 or a Mustang Convertible. Ein Mustang ist
mir ein wenig zu klein, außerdem regnet es – was soll ich da mit
einem Cabrio?! Der 300 hat den 3.5 V6 mit 250 PS, erst 30 km auf dem
Tacho, Ledersitze und duftet betörend. Also Kinder und Koffer rein
in den Wagen und auf geht’s! Wie immer hab ich hier
eine separate Seite für den Chrysler 300.
Toronto
– die Provinzhauptstadt Ontarios – ist nach New York die Stadt
mit den meisten Wolkenkratzern in Nordamerika. Allein in Downtown
stehen über einhundert Gebäude, deren Höhe mindestens 100 m
beträgt. Die gesamte Metropolregion kommt auf sage und schreibe
zweitausend Hochhäuser. Und es wird fleißig weiter gebaut. Parallel
dazu findet man aber auch viele - für kanadische Verhältnisse -
historische Gebäude. Mit mehr als fünf Millionen Einwohnern im
Ballungsraum ist Toronto die größte Stadt Kanadas. Gleichzeitig
gilt sie auch als sicherste Großstadt Nordamerikas. Seit Jahren
schon ist die Kriminalitätsrate äußerst niedrig. In meinem
nächsten Leben wäre ich gern Parkhaus-Besitzer in Toronto. 30
Minuten kosten schon mal CAN$ 4,- und eine Monatsmiete CAN$ 185,- pro
Stellplatz. Darüber hinaus droht der Verkehrskollaps. Die Straßen
sind teilweise genauso schlecht wie nach dem letzten Winter bei uns
und man steht mehr als das man fährt.
Als
Unterkunft haben wir das Novotel Toronto Center gewählt. In einer
Seitenstraße der Yonge Street liegt es zentral in Downtown. Den CN
Tower, die Hockey Hall of Fame und diverse Geschäfte kann man zu Fuß
erreichen. Sowohl Zimmer als auch Badezimmer sind sehr schön.
Allerdings liegen einige Restaurants an der Straße und des Nachts
hört man dann die Betrunkenen (darunter viele Frauen) rumgrölen.
Vertragen wohl nicht viel, die Kanadier ;-)
Das
Gebäude oben links ist der First Canadian Place – mit 355 m (inkl.
Antennen) das höchste Gebäude Kanadas (wenn man den CN Tower außer
Acht läßt). Der Scotiabank Tower in der Bildmitte ist mit 295 m das
zweithöchste Gebäude Kanadas. Der TD Canada Trust Tower oben rechts
ist mit 263 m schließlich das dritt höchste Gebäude in Toronto
(Stand Mai 2010, höhere Gebäude sind in Planung und teilweise schon
im Bau). |
Der
Zeitunterschied zu Deutschland beträgt -6 Stunden. Dadurch sind wir
am Freitag bereits gegen 3 Uhr wach. Wir nutzen die Gunst der frühen
Stunde und fahren auf dem Queen Elizabeth Way zunächst nach Süden
und später nach Osten, immer an den Ufern des Ontariosees entlang.
Nach ca. 90 Minuten Fahrt erreichen wir den kanadischen Teil der
Stadt Niagara Falls. Auf der anderen Seite des Niagara Flusses
befindet sich Niagara Falls im US-Bundesstaat New York. Eigentlich
sind wir rechtzeitig da, um zu sehen, wie die Sonne mit ihren ersten
Strahlen das Firmament über den Niagara Fällen in Brand steckt.
Dummerweise denkt das Wetter gar nicht daran, mitzuspielen. Schwere
Regenwolken und Nebelschwaden hängen herum und schränken die Sicht
drastisch ein. Sunrise with no sun.
Von
daher beschließe ich, zunächst in die USA zu fahren. Wir fahren
über die Rainbow Bridge, welche Kanada mit den USA verbindet (und
auf dem Rückweg $ 3,25 pro PKW kostet). Bei der Passkontrolle müssen
wieder die lustigen grünen Karten ausgefüllt werden, wobei zwei
Beamte die Karten für die Kinder gleich selbst ausfüllen, damit es
schneller geht. Sie fragen nur kurz, warum die Mutter nicht dabei ist
und geben sich mit meiner Erklärung zufrieden. Kein rumgezicke wie
am Flughafen in Toronto. Noch pro Person $ 6,- Eintrittsgeld zahlen
und wir sind wieder im Land mit dem Star-Spangled Banner. Und das
erste Mal im Bundesstaat New York.
Das
beeindruckende an den Niagarafällen ist nicht die Höhe (etwas mehr
als 50 Meter - da gibt es höhere Wasserfälle), sondern die Breite.
Die Abrisskante des kanadischen Teils (Horseshoe Falls) kommt auf
eine stolze Länge von 762 Metern. Der kleinere Teil American Falls
schafft es inklusive des Bridal Veil Falls immerhin noch auf 335
Meter. Die Trennung der Fälle wird durch Goat Island verursacht,
einer Insel, welche den Niagara River unmittelbar vor dem Fall teilt.
Mit gewaltigem Lärm stürzen die Wassermassen in die Tiefe, was auch
zur Namensgebung führte. Denn Niagara bedeutet in der Sprache der
Irokesen soviel wie „Donnerndes Wasser“. Der Legende nach
opferten die Irokesen hier in grauer Vorzeit Jungfrauen dem Gott des
Donners. Heutzutage findet dieser Brauch keine Anwendung mehr, wobei
ich nicht weiß, ob der Mangel an Irokesen oder Jungfrauen Schuld
daran trägt. Stattdessen wird kräftig dem Gott Mammon gehuldigt.
Auf kanadischer Seite gibt es zudem Casinos und unterschiedlichste
Attraktionen, so dass man sich irgendwie ein wenig an Las Vegas
erinnert fühlt.
Entstanden
sind die Niagara Fälle übrigens vor rund 12.000 Jahren, als mit dem
Ende der Eiszeit und dem Tauen der Gletscher der Eriesee zum
Überlaufen gebracht wurde. Das Wasser bahnte sich als Niagara Fluss
seinen Weg zum Ontariosee. Durch die permanente Erosion, welche die
Wassermassen verursachen, haben sich die Niagara Fälle im Laufe der
Zeit um 11 km dem Eriesee – und damit ihrem eigenem Ende –
genähert. Mittlerweile wird die Wassermenge (vor allem nachts) um
bis zu 90 % gedrosselt, da es sowohl auf kanadischer als auch
US-amerikanischer Seite Wasserkraftwerke gibt, welche das gigantische
Naturpotenzial zur Energiegewinnung nutzen und damit auch die Erosion
verlangsamen. Man hat also noch ein paar tausend Jahre Zeit, um die
Niagara Fälle zu bewundern, ehe sie verschwunden sind.
Über
eine weitere Brücke erreichen wir Goat Island. Hier gibt es zwar
keine Ziegen mehr, aber dafür gelangt man hautnah an beide Teile der
Fälle. Wir nehmen an der Cave-Of-The-Winds-Tour teil, bei der man
mit einem Fahrstuhl 50 m nach unten fährt und am Fuße des Bridal
Veil Falls über eine Holzkonstruktion laufen kann. Man erhält
vorher Badelatschen, einen Regenschutz und eine Tüte für Schuhe und
Strümpfe. Das nur wenige Zentimeter entfernt aufschlagende Wasser
verursacht einen Lärm, bei dem man kaum noch ein Wort versteht.
Gischt peitscht einen ins Gesicht. Hier wird nicht nur Anna nass :-)
Diese Tour kostet $ 11,- für einen Erwachsenen und $ 8,- pro Kind.
Eine Ausgabe, die sich definitiv lohnt!