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Text & Fotos: Enrico Stirl

Nach 10 km Wanderung und 974 m Abstieg in den Canyon hinein stehe ich am Plateau Point und genieße die einzigarte Aussicht, welche hier als Belohnung wartet. Hinter mir erhebt sich der South Rim fast 1.000 m hoch während sich 400 m unter mir der Colorado River unaufhaltsam in den Canyon gefressen hat. Das Donnern des Flusses ist selbst in dieser Höhe noch zu hören. Ein paar Exemplare des California Condors ziehen ihre Kreise über der Schlucht. Es ist mittlerweile 9:00 Uhr, außer mir ist keine Menschenseele hier.

Ich bin deutlich zeitiger am Ziel als ich gedacht hatte, da stellt sich die Frage, was tun? Jetzt schon auf den Rückweg machen? Vom Plateau Point kann man einen Teil des Bright Angel Trails sehen, wie er sich weiter abwärts Richtung Fluss windet (Bild rechts). Die Versuchung ist groß und so beschließe ich, die Herausforderung, welche mir der Grand Canyon entgegen ruft, anzunehmen. Ich gehe zurück zum Indian Garden. Dabei begegnet mir dann auch ein junges Pärchen, wobei das Weibchen ganz offensichtlich der Gattung "Blondie" zuzuordnen ist. Mit Spaghettiträger-Shirt und ohne Kopfbedeckung aber dafür bereits hochrotem Gesicht zieht sie Richtung Plateau Point. Na dann, viel Spaß noch beim Aufstieg!
Am Indian Garden fülle ich den Wasservorrat auf, stärke mich und mache mich anschließend auf den 5 km langen Weg hinab zum Colorado. Die Temperatur im Canyon ist deutlich wärmer, Jacke braucht man schon lange keine mehr und man glaubt gar nicht, wie lang 5 km sein können. Aber das Gefühl und die Ausblicke, wenn man sich Stück für Stück tiefer in den Canyon hinein arbeitet, sind es wert. Schließlich erreiche ich den Pipe Creek Beach am Colorado. Obwohl dies nur der Abstieg war, hat die Strecke nun auch bei mir deutliche Spuren im Gesicht hinterlassen. Zum Vergleich unten links beim erreichen des Plateau Points und unten rechts direkt am Ufer des Colorado.

Am Pipe Creek Beach liegen ein paar Rafting Boote am Strand. Smaragdgrün leuchtend rauscht der Colorado an mir vorbei. Geht man den Bright Angel Trail weiter, gelangt man zur Phantom Ranch, wo man übernachten kann. Die Plätze dort sind aber meist weit über ein Jahr im voraus ausgebucht. Ich muss zugeben, dass der Ausblick vom Plateau Point wesentlich beeindruckender ist, als wenn man dann direkt am Ufer des Colorado steht. Das dürfte auch daran liegen, dass man hier mittlerweile so tief im Canyon ist, dass man den ca. 1.400 m höher gelegenen Südrand des Canyons gar nicht mehr sehen kann.

In der Rasthütte ist zum Glück kein Mensch, so dass ich mich zum ausruhen für 'ne halbe Stunde auf die Bank legen kann. Nach erneuter Stärkung trage ich mich noch in das Grand Canyon Register des Pipe Creek Resthouse ein und danach geht es wohl oder übel auf den Rückweg. Inzwischen ist es bewölkt und stellenweise sehr windig, was in dieser Situation definitiv von Vorteil ist. Ich passe auf, dass mein Tempo - anders als beim Abstieg - sehr moderat ist, um nicht mehr Energie als nötig zu verpulvern. Knapp 13 km Wegstrecke und rund 1.400 m Höhenunterschied liegen vor mir. Stück für Stück kämpfe ich mich vorwärts.
Zunächst erreiche ich wieder Indian Garden, dann das 3-Mile Resthouse. Ab hier steigt der Bright Angel Trail nochmal ordentlich an. Immer wieder kurze Pausen, um einen Schluck zu trinken und den Puls wieder etwas runter zu bekommen. Ich setze mich nicht mehr hin, da ich befürchte, sonst nicht mehr hoch zu kommen. Die letzten 2 km laufe ich mehr oder weniger fast in Zeitlupe. Ich kämpfe mich weiter vorwärts, bis ich 17:00 Uhr wieder den Trailhead erreiche."Er erreicht das Auto mit Müh' und Not, die Füße in seinen Stiefeln sind klinisch tot."Im Motel tue ich dann etwas, was ich sonst in Hotels nicht tue: Ich lass die Wanne mit heißem Wasser volllaufen und packe meine müden Knochen rein. Was für eine Wohltat!
    
Ich habe es geschafft! Ich habe nicht nur die ursprünglich geplante Tour zum Plateau Point sondern zusätzlich noch den Abstieg bis zum Colorado und zurück an einem Tag bewältigt. Insgesamt bin ich an diesem Tag über 30 km gewandert und habe hin und zurück einen Höhenunterschied von 2.800 m überwunden. Dabei habe ich 4 Liter Wasser verbraucht ohne jedoch einmal auf die Toilette zu müssen. Dies war bereits mein vierter Besuch am Grand Canyon und 2004 war ich bereits mit einem Helikopter in den Canyon hinein zum Colorado geflogen. Aber erst wenn man so eine (Tor-)Tour macht, bei der man zu Fuß, Meter um Meter, Kilometer für Kilometer, in den Canyon steigt, begreift man die majestätische Größe dieses Naturwunders.
Am nächsten Morgen laufe ich noch ein Stück den Rim Trail Richtung Westen. Es ist bewölkt und die Sonne schickt ihre Strahlen durch vereinzelte Wolkenlücken, was ein faszinierendes Schauspiel im Canyon bietet. Der Muskelkater hält sich in Grenzen, es sind vorrangig die Knie, welche sich über die gestrige Tour beschweren scheinen zu wollen.
Anschließend geht es 450 km zurück nach Las Vegas. In Vegas schaue ich dann via Smartphone nach Tickets für den eingangs bereits erwähnten Las Vegas High Roller. Es gibt verschiedene Varianten. Wenn man ohne feste Uhrzeit bucht ist es günstiger als wenn man einen "Termin" hat. Nach 18:00 werden die Tickets nochmals teurer. Da das Riesenrad noch neu ist, befürchte ich, dass die Leute Schlange stehen. Ich schaue auf die Uhr. Es ist 16:00 Uhr, da buche ich mir ein Ticket für 17:00 Uhr. Klappt problemlos, das Ticket kommt als Barcode aufs Smartphone und kostet $25,-. Hinter dem Riesenrad gibt es an der Koval Lane einen großen kostenlosen Parkplatz. Das ganze Areal ist neu bebaut worden und nennt sich "The LinQ" Dazu gehört auch eine Promenade, welche den Strip mit dem High Roller verbindet. Hier gibt es Bars, Restaurants (keine Fast Food Schuppen) und sogar ein Polaroid-Museum.
Paradoxerweise steht überhaupt keine Schlange. Ich kann direkt durchlaufen zu den Gondeln. Davon gibt es 28 und jeweils 40 Passagiere sollen in eine rein passen. Erfreulicherweise sind außer mir nur noch vier andere Leute an Bord, so dass man wunderbar freie Sicht hat. Eine Umrundung dauert ca. 30 Minuten. Das Riesenrad hält nicht an sondern man muss während der Fahrt ein- und aussteigen. Das klingt spektakulär, ist es aber nicht, da sich der Roller mit sehr langsamer Geschwindigkeit dreht. Auf dem Strip sind neben den obligatorischen Werbekartenverteilern auch barbusige Mädels unterwegs (korrekterweise die Nippel mit Klebeband überklebt), wobei ich nicht weiß, wofür die Werbung machen. Wahrscheinlich für Klebeband. Etwas aus dem Rahmen fällt ein asiatischer Bettelmönch, der auch reihenweise Leute anquatscht und wahrscheinlich Werbung für Wiedergeburten machen möchte.



Am nächsten Tag heißt es dann Mietwagen zurück bringen, denn um 12:30 Uhr bringt mich eine Boeing 757-200 der United Airlines nach San Francisco. Um mich herum sitzen lauter Chinesen im Flieger, die - obwohl der Flug nur 90 Minuten dauert - nach dem Start Plastebecher mit Instant Nudeln aus ihrem Handgepäck kramen, mit heißem Wasser aus der Bordküche übergießen und auffuttern (die Nudeln, nicht die Becher).
    
Der Rückflug von SFO nach Frankfurt/M. war bei meiner Buchung eigentlich mit einem Airbus A380 ausgewiesen, allerdings hat Lufthansa - warum auch immer - den A380 durch eine alte Boeing 747-400 ersetzt. Wenigstens hat die 747 schon Bildschirme in den Sitzlehnen. 15:05 geht es los und nach 11 Stunden sind landen wir in FRA. Mit einer Boeing 737-500 dann weiter nach Dresden und hier bin ich wieder. Vielen Dank fürs durchlesen! (Ich hoffe, dass ihr auch wirklich alles gelesen und nicht nur die bunten Bilder angeschaut habt!)
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